Der glückliche Regentropfen
Es ist ruhig geworden im Ausseerland und doch reihen sich noch goldene Herbsttage aneinander, welche die überlegene Schönheit dieser Jahreszeit unterstreichen. Die Wälder prahlen mit schier unwirklichen Farbkombinationen und die Bergwelt zeigt sich – seiner Einzigartigkeit wohl bewusst – stoisch gelassen.
Am intensiv herbstblauen Himmel rücken, getrieben durch einen unbändigen Wind, einige Wolkenfelder dicht zusammen und stärken sich gegenseitig mit dem Ziel, sich vor ihrer Weiterreise von Ballast zu befreien. So bewegte sich ein dichtes Wolkenband in Richtung Ödensee und in ihm der kleine überaus neugierige Regentropfen.
Vom geheimnisvollen Moor, welches diesen See schützt, hat er schon ganz viele wundersame Geschichten gehört. Heilende Pflanzen und seltene Tiere, Luft, die Klarheit verschafft und Strömungen die Abenteuerlust wecken, sollte es dort geben und die Sehnsucht, selber einmal in diese Landschaft einzutauchen wurde immer grösser.
Voll Neugier blinzelte der kleine Regentropfen nach unten und beuget sich über den dünnen Wolkenrand. Da unten ist es – das Moor – sein Herz klopfte wie wild. Heute ist mein Tag flüsterte er sich selber Mut zu und rutschte noch weiter nach vorne an die Wolkenkante. Ein kleiner Zweifel fragte nach Leichtsinn, die Angst sprach von Schmerz und die Vernunft sagte es sei Unsinn. Doch in der Sekunde wo all diese Gedanken durch seinen Kopf wirbelten, kam ein Windstoss und nahm ihn mit.
Augenblicklich fühlte er eine befreiende Leichtigkeit und erlaubte es dem Wind ihn schwerelos herumzuwirbeln. Er liess sich fallen, liess sich treiben und nahm die Energie dieser lieblichen Landschaft in sich auf. Dieser Tanz sollte niemals aufhören dachte er bei sich, während der Wind ruhiger wurde und ihn behutsam im Moor auf einem kleinen Baumstamm setzte. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfüllte seinen kleinen Regentropfenkörper, sein sehnlicher Traum hat sich erfüllt und sein Herz jubelte vor Stolz und Freude. Diesen Moment wollte er für immer festhalten und nie mehr hergeben. Er schloss die Augen, tauchte ein in die Stille und fühlte sich unsäglich geborgen in seiner kleinen Unendlichkeit.